„Unsere Professoren haben uns dann davon überzeugt, weiterzumachen und ernsthaft über eine Unternehmensgründung nachzudenken.“
Wenn Hightech und Hollywood aufeinandertreffen, wird es meistens spannend. So wie bei Gerrit Agel und Luca Peschel. Die beiden sind nicht nur technikbegeistert, sondern auch Fans von SciFi-Filmen wie Iron Man. Das Ergebnis: eine vollkommen neue Technologie für ein Exoskelett – eine Stützstruktur für den menschlichen Körper. Entwickelt haben die beiden das Ganze neben ihrem Studium an der Hochschule Ruhr West – zu Hause im Keller. Mit Unterstützung von HRWStart-Ups haben sie 2022 die CYBRID GbR gegründet.
Herr Agel, Sie haben gemeinsam mit Ihren Co-Gründern ein Exoskelett entwickelt. Was kann man darunter verstehen?
Agel: Dabei handelt es sich um einen motorisierten Anzug, den man am Körper trägt. Durch seine Struktur unterstützt er Muskeln und Gelenke bei körperlich belastender Arbeit und beugt somit Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfällen und anderen Verschleißerkrankungen am Skelett vor. Das ist aber noch nicht alles. Wer zum Beispiel bereits eine Schädigung hat, kann aufgrund des Entlastungseffekts damit schmerzfreier arbeiten. Und nicht zuletzt steigert unser Exoskelett auch die Produktivität, weil an allen Gelenken Motoren sitzen, die die Bewegungsabläufe verstärken. So lassen sich zum Beispiel fünf, zukünftig auch 20 Kilogramm ohne Weiteres mit einem Arm heben. Das Ganze ist also wie ein Pedelec für den Körper.
Worin unterscheidet sich Ihr Exoskelett von bereits bestehenden Anwendungen?
Agel: Da gibt es mehrere Besonderheiten. Bisher gibt es Exoskelette entweder mit Motor oder ohne Motor. Erstere gibt es kaum auf dem Markt, letztere funktionieren rein mechanisch wie ein rückenstabilisierendes Korsett, sind damit günstig, aber sehr unflexibel. Unser System kombiniert beide Systeme: Es stützt das Körpergewicht und ermöglicht gleichzeitig eine hohe Flexibilität und Kraftsteigerung aufgrund der Motoren. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist der Einsatz Künstlicher Intelligenz. Das System erkennt praktisch, was der Nutzer gerade macht. Man muss also nicht, wie bei vergleichbaren Systemen, erst einen Knopf drücken oder Schieberegler betätigen. Dadurch wird eine vollautomatische Steuerung ermöglicht, sodass die Nutzerinnen und Nutzer wie gewohnt weiterarbeiten können.
Hinzu kommt der modulare Aufbau. Wenn ich zum Beispiel eine Arbeitsposition habe, bei der ich immer nur Waren vom Boden in ein Regal einräume, werden vor allem Rücken und Arme beansprucht. Das heißt, ich kaufe mir die Anzugsmodule, die entsprechend Rücken und Arme unterstützen. Wenn jetzt noch ein anderer Bewegungsablauf hinzukommt, wie zum Beispiel Treppensteigen, kaufe ich noch ‚die Beine‘ dazu. Man kann sich also die einzelnen Komponenten je nach eigenem Bedarf zusammenstellen. Und zu guter Letzt ist es uns gelungen, wesentlich kostengünstiger zu produzieren. Während vergleichbare Systeme, die es aktuell nur beim Militär oder im Rahmen von Forschungsprojekten gibt, gut 200.000 bis 300.000 Euro kosten, betragen bei uns die Herstellungskosten nur einen Bruchteil davon.
Könnten Sie kurz etwas zum Team sagen? Welchen Hintergrund haben Sie und Ihre Co-Gründer?
Agel: Luca und ich haben dual Mechatronik an der Hochschule Ruhr West studiert. Jeder von uns hat dennoch seine Schwerpunkte: Luca ist spezialisiert auf Elektronik und Softwarefragen, meine Themen sind KI und Mechanik. Bei CYBRID gehört die Geschäftsführung zu meinen Aufgaben. Mir liegt es einfach, mit Kunden zu sprechen, auf Messen zu gehen, Strategien zu entwickeln usw. Luca ist für die technische Leitung zuständig. Demnächst kommt noch Markas Segalis an Bord. Er studiert noch bis Ende des Jahres an der Uni zu Köln Betriebswirtschaft mit dem Fokus auf Entrepreneurship. Die Idee ist, dass er unser Start-up zum Thema seiner Bachelorarbeit macht und zukünftig die wirtschaftliche und operative Führung übernehmen wird.
Sie wurden durch HRWStart-Ups an der Hochschule Ruhr West unterstützt. Wie sah die Unterstützung aus?
Agel: Wir hatten aus purer Neugier an dem neuen Wahlmodul Startup Project teilgenommen und das Exoskelett als Beispiel für ein Geschäftsmodell verwendet. Als uns dann klar wurde, dass wir da zu Hause eine vollkommen neue Technologie entwickelt hatten, war das ein regelrechtes Aha-Erlebnis für uns. Unsere Professoren haben uns dann davon überzeugt, weiterzumachen und ernsthaft über eine Unternehmensgründung nachzudenken. Das war sozusagen die Initialzündung. Wir haben uns dann immer intensiver mit dem Thema Gründung beschäftigt, haben uns beraten lassen und an Workshops teilgenommen, bis wir Anfang 2022 den Zuschlag für eine Teilnahme bei HRWIncubate erhielten. Das Inkubatorprogramm startete damals gerade und ist praktisch ein Intensivkurs in Sachen Unternehmensgründung. Besonders hilfreich ist der gute Draht zu unserem Coach und die Kontakte, die wir über das HRWIncubate-Netzwerk erhalten.
Was lief denn bisher besonders gut?
Agel: Ein Meilenstein war für uns die kostenlose Teilnahme an der Messe Maintenance in Dortmund. Das wurde uns von HRWIncubate ermöglicht. Wir wären sonst gar nicht auf die Idee gekommen. Das Feedback, das wir dort erhalten haben, war einfach riesig: Innerhalb von zwei Tagen hatten wir Kontakte zu 40 Unternehmen, die ein ernsthaftes Interesse an unserem Anzug signalisierten. Mit einigen haben wir inzwischen Entwicklungspartnerschaften vereinbart. Absolut grundlegend ist für uns außerdem unsere Arbeit im FabLab der Hochschule. Zum einen, weil wir hier angestellt sind – wir helfen anderen Studierenden bei der technischen Umsetzung ihrer Ideen – und uns dadurch finanzieren können, zum anderen, weil wir in unserer Freizeit an unserem Prototyp arbeiten und den gesamten Maschinenpark, ob Laserschneidemaschine, Abkantbänke oder 3D-Drucker, dafür nutzen können.
Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Agel: Wir wollen unseren Prototyp fertigstellen und unser Exoskelett dann mithilfe unserer Entwicklungspartner testen. Anhand des Feedbacks werden wir die Entwicklung dann weiter vorantreiben. Der Fokus wird zunächst auf Anwendungen in der Industrie liegen. Sobald wir dort Fuß gefasst haben, werden wir auch in andere Bereiche wie den Pflege- oder auch therapeutischen Bereich vorstoßen.
Außerdem steht natürlich das Thema Finanzierung auf der Agenda. Vielleicht kommt EXIST-Forschungstransfer in Frage, vielleicht bietet sich aber auch ein anderes Programm oder ein privates Investment an. Wenn alles wie geplant läuft, werden wir voraussichtlich Anfang 2023 gründen.
Ihr Tipp für andere Gründungsteams?
Agel: Nehmt so früh wie möglich an einem Inkubatorprogramm teil und nutzt die Infrastruktur an eurer Hochschule. Dadurch spart ihr viel Zeit. Fragt eure Professorinnen und Professoren, wie ihr am besten Zugang zu den Ressourcen bekommt. Vor allem aber: Baut euch ein Netzwerk aus Leuten auf, die euch weiterhelfen können und die ihr jederzeit fragen könnt.
Weitere Informationen:
Cybrid GbR
Die Hochschule Ruhr West hat in den vergangenen Jahren ihre Sensibilisierungs- und Unterstützungsangebote für Gründungsinteressierte ausgebaut.
Das Interview wurde der Broschüre „Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Nordrhein-Westfalen: Sprungbrett für innovative Start-ups“ entnommen. Herausgeber: Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen des Landes Nordrhein-Westfalen
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