„Das CET war für uns der perfekte Ort, um in die Start-up-Welt des Ruhrgebiets einzutauchen.“
Jeder hat sie schon einmal gesehen: Paletten, Behälter oder auch Gestelle, mit denen Produkte aller Art transportiert oder gelagert werden. Der Einsatz dieser sogenannten Mehrweg-Ladungsträger ist für viele Unternehmen allerdings mit einem hohen Personalaufwand verbunden. Das wollen Dr. Philipp Wrycza, Michael Koscharnyj, Patrik Elfert und Jan Möller ändern. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Mitarbeiter im Fraunhofer-Institut in Dortmund entwickelten sie die Idee einer Software-Infrastruktur für Mehrwegsysteme. Für das notwendige Gründungs-Know-how und den Zugang zum Start-up-Ökosystem sorgte das CET - Centrum für Entrepreneurship & Transfer an der Technischen Universität Dortmund. Seit Oktober 2021 ist das Team nun mit seiner Logistikbude GmbH ziemlich erfolgreich am Markt.
Das Interview können Sie auch hören:
Herr Dr. Wrycza, dass viele Unternehmen bei Transport und Lagerung ihrer Produkte auf Mehrwegsysteme wie z.B. Paletten oder wiederverwertbare Behälter setzen, ist doch eigentlich eine gute Sache, oder?
Dr. Wrycza: Auf jeden Fall! Das ist total sinnvoll. Die Europalette oder die Gitterbox sind alles bewährte Mehrweglösungen. Das Problem ist nur: Wenn es darum geht, den Einsatz, den Transport oder auch den jeweils aktuellen Standort dieser Ladungsträger zu planen bzw. nachzuverfolgen, hat jedes Unternehmen eine eigene Methode. Und das ist leider sehr ineffizient. Hinzu kommt, dass die Dokumentationen meist unzureichend sind. In der Regel sieht es so aus, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter aufschreibt, wie viele Behälter oder Paletten wann an einen Kunden geliefert werden. Eine Kollegin oder ein Kollege überträgt die Angaben dann in eine Excelliste oder ähnliches, und am Ende des Monats müssen die Kunden und Lieferanten kontaktiert werden, um zu klären, wie viele Behälter oder Paletten zurückgeschickt werden müssen, ob sie schon auf dem Weg sind oder erneut vor Ort gebraucht werden. Dann sagt der Kunde: „Wir haben viel weniger erhalten als bestellt“ oder „Wir haben kurzfristig einige davon verliehen“ oder was auch immer. Der Aufwand für diesen Abstimmungsprozess ist immens. Damit verbunden ist natürlich auch ein hoher Personalaufwand. Darüber hinaus entstehen den Unternehmen zusätzliche Kosten durch Schwund und langsame Umlaufzeiten.
Das soll sich dank Ihrer Software-Infrastruktur für Mehrwegsysteme nun ändern. Wie kann man sich das vorstellen?
Dr. Wrycza: Wir standardisieren den ganzen Prozess. Unsere Software besteht aus einer Website, einer App und diversen Schnittstellen. Unternehmen können damit ihre gesamten Mehrwegobjekte in einer einzigen Lösung verwalten: von Ladungsträgern über Cargobikes bis hin zu Mehrweg-Geschirr. Dazu werden alle Datensätze rund um den Einsatz der einzelnen Mehrwegobjekte kontinuierlich von uns zusammengetragen: Lieferaufträge, Sendungsaufträge, Transportpapiere usw. Die Unternehmen erhalten damit in Echtzeit einen Überblick darüber, welche Behälter oder Paletten sich gerade wo befinden, wie lange sie schon in einem Leergutlager stehen usw. Außerdem wird das ganze Abstimmungsprozedere automatisiert. Es ist also nicht mehr notwendig, bei den Kunden und Lieferanten anzurufen. Stattdessen erhalten die Unternehmen automatisch den Link auf unsere Plattform, wo sie zur Rücksendung aufgefordert werden, die Rücksendefrist verlängern oder aber auch Behälter nachbestellen können.
In welchem Kontext ist die Idee entstanden?
Dr. Wrycza: Wir sind vier Gründer und kommen ursprünglich aus dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Wir haben damals bereits im Rahmen unserer Forschungsarbeit Unternehmen dazu beraten, wie sie möglichst effizient den Einsatz ihrer Ladungsträger managen können. Dabei war uns aufgefallen, dass jedes Unternehmen für sich eine Insellösung entwickelt hat, die aber letztlich nicht zielführend ist. Wir haben uns also gefragt, warum man das ganze Verfahren nicht standardisieren kann. Wenn ich einen Text schreibe, nehme ich ja auch WORD und baue mir nicht ein eigenes Textprogramm. Also haben wir uns an die Arbeit gemacht und hatten dabei das große Glück, dass wir bereits guten Kontakt zu Industrie- und Logistikunternehmen hatten. Bei der Entwicklung von der Idee und den Grundtechnologien bis hin zum fertigen Produkt wurden wir außerdem über EXIST-Forschungstransfer gefördert.
Dabei haben Sie und Ihre Co-Founder ganz unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche.
Dr. Wrycza: Genau. Patrik Elfert und Jan Möller bauen die Software, kümmern sich um Backend und Frontend, den Aufbau der Datenbank usw. Michael Koscharnyj und ich kommen von der betriebswirtschaftlich-logistischen Seite und kümmern uns um Akquise, Marketing und Sales sowie die Betreuung der Kunden.
Sie waren am Fraunhofer-Institut Dortmund beschäftigt. Wie kam der Kontakt zur TU Dortmund und dem Centrum für Entrepreneurship & Transfer, dem CET, zustande?
Dr. Wrycza: Zum einen haben wir alle an der TU Dortmund studiert, zum anderen liegt das CET direkt auf der anderen Straßenseite vom Fraunhofer-Institut. Wir hatten es also sozusagen immer im Blick. Als wir dann nach unserer Gründung nach Räumlichkeiten gesucht haben, die uns sowohl ein gewisses Wachstum als auch die Vernetzung mit anderen Start-ups ermöglichen sollten, trafen wir beim CET auf offene Türen. Aber nicht nur das. Das Team stand uns bei allen Fragen rund ums Gründen zur Seite: sei es zum Pitch-Deck oder zur Finanzplanung. Insofern war das CET für uns in der damaligen Phase der perfekte Ort, um in die Start-up-Welt des Ruhrgebiets einzutauchen.
Wovon haben Sie noch profitiert?
Dr. Wrycza: Ich glaube, am wichtigsten war für uns der Kontakt zu anderen Gründern und Gründerinnen. Von deren Erfahrungen zu lernen, hat uns immens geholfen. Dadurch sind wir auch mit verschiedenen öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen im Ruhrgebiet in Kontakt gekommen und konnten letztlich eine ganz andere Sichtbarkeit entwickeln.
Sie haben Ende Oktober 2021 die Logistikbude GmbH gegründet. Verlief der Markteintritt reibungslos?
Dr. Wrycza: Ehrlich gesagt: nein. Das Ganze war schon ziemlich bürokratisch. Die Unternehmensgründung dauerte länger als gedacht. Der Notartermin, dann die Eintragung der GmbH im Handelsregister, die Gewerbeanmeldung, die Suche nach einer geeigneten Bank. Das zog sich ziemlich lang hin. Was allerdings wirklich schnell funktioniert hat, war die Zusage für unseren ersten Auftrag. Dank unseres ersten Kunden konnten wir sehr schnell den Beweis antreten, dass unsere Software und unsere Idee funktionieren.
Dass ein Kunde direkt nach dem Unternehmensstart vor der Tür steht, ist nicht selbstverständlich. Wie kam es dazu?
Dr. Wrycza: Wir hatten in der Vergangenheit bei Fraunhofer schon mit vielen Unternehmen zusammengearbeitet und wussten, wo in den Betrieben der Schuh drückt. Außerdem haben wir bei der Entwicklung unserer Software von Beginn an mehrere Feedbackschleifen mit Unternehmen gedreht. Das hat uns natürlich sehr geholfen, eine Lösung zu entwickeln, die tatsächlich praxisorientiert ist.
Sie sagten vorhin, die bürokratischen Anforderungen an die formale Unternehmensgründung waren höher als gedacht. Gab es darüber hinaus besondere Herausforderungen?
Dr. Wrycza: Der Salesbereich ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für ein junges Unternehmen. Die Kunden kommen nicht von allein. Die Kundenakquise ist also ein kontinuierlich laufender Prozess. Wir haben dabei gute Erfahrungen mit unserer LinkedIn-Präsenz gemacht, die wir mit wenigen Mitteln aufbauen konnten. Außerdem präsentieren wir uns auf Fachmessen und Veranstaltungen. Irgendwann setzt dann so ein Schneeballeffekt ein, bei dem sich herumspricht, dass es uns gibt. Das funktioniert ganz gut, aber man muss natürlich dranbleiben.
Eine weitere Herausforderung war und ist das Thema Wachstum. Wir sind relativ schnell gewachsen und sind auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Dabei ist die Suche nach geeigneten Fachkräften alles andere als einfach. Insbesondere Softwareentwicklerinnen und -entwickler findet man schließlich nicht überall. Von daher war die Personalakquise für uns eine sehr große Herausforderung.
Trotzdem ist es Ihnen gelungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.
Dr. Wrycza: Ja, zum einen sind Jan und Patrick, die bei uns für die Softwareentwicklung zuständig sind, zum Glück gut vernetzt. Das hilft sehr. Zum anderen spielt die Nähe zur TU Dortmund mit ihren vielen hoch qualifizierten Absolventinnen, Absolventen und Studierenden eine wichtige Rolle. Von daher haben wir inzwischen sowohl erfahrene Entwicklerinnen und Entwickler an Bord als auch Studierende, die wir begleiten und auch fördern, um sie perspektivisch in unser Unternehmen übernehmen zu können.
Das hört sich alles ziemlich gut an.
Dr. Wrycza: Wir können uns nicht beklagen. Aber natürlich darf man dabei nicht die vielen Aufs und Abs vergessen, die letztlich zu dem Ergebnis geführt haben. Da hat man sich zum Beispiel mit seinem Ansprechpartner bei einem Kunden über alles geeinigt, und dann kommt auf einmal der Vorstand oder der IT-Leiter und sagt: „Nein, wir beauftragen jetzt erstmal keine neuen Projekte“. Genauso gibt es aber auch Unternehmen, denen man sein Produkt vor Monaten vorgestellt hat und die sich danach nicht mehr melden. Bis auf einmal das Telefon klingelt und es heißt: „Wir haben nochmal drüber nachgedacht, könnt ihr morgen loslegen?“ Diese Aufs und Abs machen den unternehmerischen Alltag aus, werden aber von Außenstehenden kaum wahrgenommen.
Wie geht es weiter mit der Logistikbude?
Dr. Wrycza: Wir haben jetzt unseren elften Mitarbeiter eingestellt. Bei der Zahl unserer Kunden liegen wir im zweistelligen Bereich: vom Konzern bis zum Mittelständler. Zu den nächsten Schritten gehört die Aufstockung unseres Teams und die Professionalisierung interner Prozesse und natürlich die Weiterentwicklung unserer Software. Dazu werden wir zeitnah eine Finanzierungsrunde starten, zum einen wegen der damit verbundenen Kapitalspritze, zum anderen aber auch, um von erfahrenen Investorinnen und Investoren eine Einschätzung zu unserer bisherigen unternehmerischen Entwicklung zu bekommen.
Stehen Sie eigentlich nach wie vor im engen Kontakt mit dem CET an der TU Dortmund?
Dr. Wrycza: Ja, schon allein deswegen, weil wir unser Unternehmen immer noch in den Räumlichkeiten des CET haben. Was uns besonders freut ist, dass wir nun in der Lage sind, auch etwas zurückzugeben und mit den jüngeren Teams über unsere Erfahrungen sprechen. Wir hatten zum Beispiel neulich ein Gespräch mit einem Gründer, der kurz davor stand aufzugeben. Der hat uns nach unserer Meinung gefragt. Wir haben also jetzt die Chance, den Teams Mut zu machen, ihnen etwas mitzugeben. Das macht für mich auch ein gutes Netzwerk aus: So, wie wir anfangs von den Erfahrungen anderer profitiert haben, möchten wir jetzt auch junge Teams mit unseren Erfahrungen unterstützen.
Dann haben Sie sicherlich den einen oder anderen Tipp für unsere Leserinnen und Leser parat?
Dr. Wrycza: Das Allerwichtigste ist, einfach loszulegen. Mit den ersten potentiellen Kunden zu sprechen, ist etwas vollkommen anderes als große Pläne in der Theorie zu schmieden. Das bedeutet: Um tatsächlich vorwärtszukommen, muss man ins kalte Wasser springen, sein MVP (Minimal Viable Product) bauen und versuchen es zu verkaufen. Zu einer Unternehmung gehört es schließlich, Geld zu verdienen. Der zweite Tipp bezieht sich auf das Team. Meistens wird beim Teambuilding nur über die zwischenmenschliche Ebene gesprochen, dass man sich gut miteinander verstehen muss. Ich finde es mindestens genauso wichtig, frühzeitig die Rollenverteilung zu klären. Es hat keinen Sinn, wenn bei einem dreiköpfigen Gründungsteam alle drei von einem Start-up-Event zum nächsten rennen. Dann ist niemand mehr da, der das Produkt baut. Und drittens: das Netzwerk. Viele sprechen nicht über ihre Idee aus Angst, sie könnte geklaut werden. Das ist Unsinn, zumal man ja erstmal nur eine grobe Idee hat und keinen differenzierten Plan zum Produkt und der Go-to-Market-Strategie. Aber um tatsächlich ein nützliches Produkt zu entwickeln, das dann auch seine Kunden findet, braucht es einfach das Feedback von anderen: seien es Gründungsberaterinnen und -berater, Unternehmerinnen und Unternehmer oder Branchenfachleute.
Weitere Informationen:
Stand: Juli 2023
Start-up Center.NRW fördert das Centrum für Entrepreneurship & Transfer (CET) an der TU Dortmund.
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