„Natürlich ist es für einen Weltmarktführer erst einmal befremdlich, dass da junge Leute stehen und das Geschäftsmodell infrage stellen.“

© Sven Schneider

Mit der Betreuung von Start-ups kennt sich Sven Schneider aus. Als Head of Future Business Design bei Miele hat er schon manchem Gründungsteam auf die Sprünge geholfen. Voraussetzung: Das Geschäftsmodell hat einen klaren Bezug zu dem international bekannten Küchengerätehersteller. Kein Wunder, dass das westfälische Familienunternehmen ein gefragter Partner beim Programm Entrepreneur-in-Residence der Universität Paderborn ist.

Herr Schneider, das Unternehmen Miele beteiligt sich an dem Programm „Entrepreneur in Residence“ des TecUP in der garage33 an der Universität Paderborn. Was sind die Gründe dafür?
Schneider:
Fast grundsätzlich gilt, je größer ein Unternehmen, desto schwieriger ist es, Innovationen schnell umzusetzen. Dem stehen eingefahrene Strukturen, langwierige Abstimmungsprozesse usw. entgegen. Ein weiterer Grund ist: Viele neue Ideen passen auf den ersten Blick einfach nicht zum bestehenden Produktportfolio. Heute geht es ja nicht mehr nur darum, zum Beispiel Öfen oder Geschirrspüler zu verkaufen. Wenn man wie Miele im Bereich Haushalt bzw. Küche thematisch unterwegs ist, denkt man früher oder später natürlich auch über das gesamte Thema Essenszubereitung nach. Das ist ein großes Geschäftsfeld, bei dem es aber wenig Sinn ergibt, wenn Miele als klassischer Hardwarehersteller nun selber im großen Stil in die Entwicklung und Vermarktung eigener Rezepte einsteigt.

Einfacher ist es, ein externes Start-up mit aufzubauen, das nach außen hin einen klaren Bezug zu Miele herstellt. Das ist zum Beispiel bei dem jungen Unternehmen KptnCook der Fall, in das wir investiert haben. Hier besteht die Anbindung an Miele, weil die Rezepte einen extrem wichtigen Einstiegspunkt in das Thema Kochen und Ernährung darstellen. Über diesen Einstiegspunkt lassen sich viele Mehrwerte generieren, zum Teil für die Hardware, zum Teil in ganz anderen Services und Lösungen. 

Sie wollten im Frühjahr 2021 ein weiteres Start-up im Rahmen des Programms „Entrepreneur in Residence“ aufziehen. Welche Geschäftsidee steckte dahinter?
Schneider:
Wir wollten zur Gründung eines Start-ups anregen, das auf Grundlage der Rezepte von KptnCook Kochboxen mit regionalem Biogemüse zusammenstellt und hier in der Region Ostwestfalen-Lippe ausliefert. Also haben wir an der Universität Paderborn in einer Veranstaltung im Rahmen des Entrepreneur-in-Residence-Programms unsere Idee vorgestellt. Es haben sich dann gleich zwei BWL-Absolventen gemeldet, die daran interessiert waren.

Woher wussten Sie, dass die beiden zu Ihrem Projekt passen?
Schneider:
Das ist mit eine der schwierigsten Aufgaben. Ich wünschte, ich hätte einen Kriterienkatalog, den ich abhaken könnte. In erster Linie kommt es auf das Mindset an. Man muss spüren, dass jemand für eine Idee brennt und bereit ist, dafür auch ins Risiko und in die Verantwortung zu gehen. Wichtig ist der Wille, etwas Eigenständiges umsetzen zu wollen und dabei Dinge offen anzugehen und auch zu hinterfragen. Letztlich gehört auch ein gewisses Bauchgefühl dazu. Bei den beiden hatte ich einfach den Eindruck, dass es passt.

Wie ging es dann weiter?
Schneider:
Wir haben mit den Gründern Arbeitsverträge abgeschlossen. Das waren im Grunde Werkstudentenstellen – so heißen die bei uns. Das ist nichts anderes als auf sechs Monate befristete Teilzeitverträge über 20 Stunden pro Woche. In diesem Zeitraum sollte der Businessplan erarbeitet werden. Wobei wir erwarten, dass die Entrepreneure weitere 20 Stunden als Eigenleistung einbringen.

Wir haben das Team dann während seiner Teilnahme am Accelerator-Programm im April 2021 in der garage33 an der Universität Paderborn intensiv begleitet und gemeinsam mit Hilfe eines Business-Model-Canvas am Geschäftsmodell, der geeigneten Finanzierung usw. gearbeitet.

Nun lief es aber nicht so ganz nach Plan. Die beiden Gründer haben im August die Segel gestrichen.
Schneider:
Ja, das ist schade, aber damit muss man leben, auch wenn es natürlich eine Herausforderung für uns als Unternehmen ist. Aber dabei lernt man eben auch, dass Flexibilität auch Flexibilität auf allen Seiten bedeutet. Wenn die Leute nach ein paar Monaten sehen, dass ihre persönlichen Ziele nicht passen, dann muss man damit umgehen können. Wir haben aus dem ersten Durchlauf gelernt und binden die Gründerinnen und Gründer jetzt früher und verbindlicher in das Thema ein. Wir denken, dass wir dadurch ein verlässlicheres Commitment bekommen. Auch solche Erfahrungen sind extrem wichtig.

Das bedeutet, Sie suchen jetzt nach neuen Gründerinnen und Gründern?
Schneider:
Ja, wieder gemeinsam mit der Uni Paderborn. Das können Studierende, Mitarbeitende oder auch Absolventinnen und Absolventen der Hochschule sein.

Und wenn es dann tatsächlich zur Gründung kommt, wie würde es weitergehen?
Schneider:
Im konkreten Fall wäre die Gründung einer eigenständigen GmbH mit einer Startfinanzierung von Miele ein möglicher Weg. Damit wäre Miele ein Minderheitsanteilseigner. Es gibt allerdings noch andere Finanzierungs-Szenarien. In Start-ups wird meist ein Board aus Finanzierern zusammengestellt, das Einfluss auf die Entwicklung hat und das Team unterstützt. Darüber hinaus gibt es ein Mentoringangebot für die ersten Jahre nach der Gründung.

Sie bzw. Miele sind sehr engagiert, was die Gründungsförderung von Start-ups betrifft. Es gibt aber auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die sagen: „Na ja, die jungen Studierenden kennen die Welt, geschweige denn die unternehmerische Welt, noch gar nicht so richtig. Jetzt wollen die ein Start-up gründen, in das wir Zeit und Geld investieren sollen. Wozu soll das gut sein?“
Schneider:
Ich glaube, dass sich viele mittelständische Unternehmen erst einmal selber an die Nase fassen und sich fragen sollten, ob sie denn überhaupt die Welt noch richtig verstehen. Die verändert sich ja gerade dramatisch. Sehen Sie sich zum Beispiel die Automobilindustrie in Deutschland an. Da gibt es nach wie vor nur wenige Zulieferer, die auf Elektromobilität, Carsharing oder alternative Mobilitätskonzepte eingestellt sind. Von daher finde ich, ist es eine Bereicherung, auf Leute zu treffen, die mit einer ganz anderen Perspektive auf die Dinge blicken und vielleicht gar nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben.

Viele Mittelständlerinnen und Mittelständler haben Angst, ihr eigenes Geschäft zu hinterfragen. Nur: Die Zukunft sieht halt nicht immer so wie die Prognose des aktuellen Branchenreports aus, der ist eben nur auf die Branche gerichtet. Viele disruptive Ideen kommen aber aus ganz anderen Bereichen. Wie lange hat die Automobilindustrie über Tesla oder Uber gelacht? Jetzt lacht niemand mehr darüber. Wer hätte gedacht, dass ein Fahrdienstanbieter wie Uber massiv als Technologieführer im Bereich autonomes Fahren, aber auch in Drohnen und Flugtaxis einsteigt.

Natürlich ist es auch für einen Weltmarktführer wie Miele erst einmal befremdlich, dass junge Leute das Geschäftsmodell und die Produkte infrage stellen. Aber in vielen Punkten sind die Fragen durchaus berechtigt. Wir reden ja nicht umsonst seit Jahren von einer VUCA-Welt, die total volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig ist. Und es gibt genug Beispiele von Weltmarktführern, die innerhalb weniger Jahre auf einmal verschwunden waren, weil sich der Weltmarkt verändert hat. Es geht ja auch nicht darum, alles Erfolgreiche über den Haufen zu werfen und jetzt nur noch ganz neue Dinge zu machen, sondern um eine Symbiose aus erfolgreichen Kompetenzen und neuen Opportunitäten. Der finanzielle Invest ist dabei meistens überschaubar, die Bereicherung mit neuen Perspektiven aber oft unbezahlbar.

Tipp:

Lesen Sie mehr dazu in der Broschüre „Hochschulen in Nordrhein-Westfalen: Keimzellen für innovative Start-ups“ (PDF, 7 MB)