„Es ist absolut sinnvoll, den Gründungsgeist an möglichst vielen Fakultäten in Form von gründungsaffinen Lehrstühlen zu verankern.“

Prof. Dr. Friederike Welter, IfM Bonn und Universität Siegen
© IfM Bonn
Prof. Dr. Christian Schwens, Universität zu Köln
© Fabian Stürtz

Vor über zwanzig Jahren fiel in Deutschland der Startschuss für die akademische Entrepreneurship-Lehre. An der European Business School im hessischen Oestrich-Winkel wurde der erste Lehrstuhl für Entrepreneurship eingerichtet. Seitdem hat die Entrepreneurship Education an immer mehr Universitäten und Hochschulen Einzug gehalten. Der FGF Förderkreis Gründungs-Forschung e. V. zählt inzwischen bundesweit 154 Entrepreneurship-Professuren. Die meisten davon sind an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten angesiedelt. Bisher jedenfalls, denn an der Universität zu Köln geht man nun neue Wege.

Wie die aussehen und welche Perspektiven sich daraus für das Gründungspotenzial an Hochschulen ergeben, darüber haben Prof. Dr. Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn und Professorin für Management von kleinen und mittleren Unternehmen und Entrepreneurship an der Universität Siegen sowie Prof. Dr. Christian Schwens, Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, diskutiert.

Herr Professor Schwens, die Universität zu Köln hat bei der Besetzung von Entrepreneurship-Professuren neue Wege eingeschlagen. Wie sehen die aus?
Prof. Schwens:
Wir haben gesehen, dass es nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften, sondern auch in anderen Fakultäten an der Universität Köln ein hohes Potenzial für Unternehmertum gibt. Dazu gehören insbesondere die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, die Medizinische Fakultät, aber auch die Humanwissenschaftliche und Philosophische Fakultät. Wir haben in der Vergangenheit außerdem immer wieder beobachtet, dass Gründungsinteressierte, die nicht aus den Wirtschaftswissenschaften kommen, in ihrem Fachbereich oft keinen geeigneten Ansprechpartner haben. Das wollen wir ändern.

Indem an der Universität zu Köln neun neue Entrepreneurship-Professuren in verschiedenen Fachbereichen eingerichtet wurden?
Prof. Schwens:
Richtig. Wir haben im Rahmen des Gateway Exzellenz Start-up Center.NRW innerhalb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät nicht nur zwei neue „klassische“ Entrepreneurship-Lehrstühle im Bereich Innovationsmanagement und Entrepreneurship besetzt, sondern darüber hinaus zwei gründungsbezogene Professuren in den Bereichen Business Analytics und Data Analytics. Drei weitere gründungsbezogene Professuren wurden in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in den Bereichen IT-Sicherheit, Künstliche Intelligenz und Digitale Bildung neu eingerichtet. Außerdem haben wir je eine gründungsbezogene Professur in der Humanwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultät. Unser Ziel ist es, damit das Gründungspotenzial an der gesamten Universität zu erschließen.

Frau Professorin Welter, ist diese Interdisziplinarität in der Entrepreneurship Education womöglich eine Blaupause für andere Hochschulen?
Prof. Welter:
Ich finde den Weg, den die Universität Köln hier geht, durchaus konsequent. Im Grunde wird damit etwas aufgegriffen, was es in der Gründungspraxis schon immer gegeben hat. Nehmen Sie allein die Ingenieurwissenschaften. An der Universität Siegen zum Beispiel ist deutlich zu beobachten, dass die Ingenieurwissenschaften wesentlich gründungsaffiner sind als die Wirtschaftswissenschaften. Ich weiß aufgrund meiner eigenen Lehrtätigkeit, dass die Studierenden und Forschenden dort sowohl in den Ingenieur-als auch Sozialwissenschaften sehr dankbar dafür sind, wenn sie sich innerhalb ihrer Fachbereiche über gründungsbezogene Fragen austauschen können. Insofern ist es absolut sinnvoll, den Gründungsgeist an möglichst vielen Fakultäten in Form von gründungsaffinen Lehrstühlen zu verankern.

Eigentlich ist es sogar eher überraschend, dass das Thema Entrepreneurship nach wie vor so stark an die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten angebunden ist. Das gilt übrigens auch für das Ausland. Es sind immer noch die Business Schools, an denen in der Regel Entrepreneurship unterrichtet wird. Dabei beschäftigt sich die internationale Entrepreneurship-Forschung schon seit Längerem mit der Frage, wie man Gründungsinteressierte beispielsweise in den humanistischen und sozialwissenschaftlichen Fächern besser erreichen kann.

Wie steht es denn um die Interdisziplinarität innerhalb der Entrepreneurship-Forschung?
Prof. Welter:
Die Forschung ist ohnehin schon interdisziplinär aufgestellt. Wir haben Kolleginnen und Kollegen aus der Wirtschaftsgeografie, den Rechtswissenschaften, der Philosophie, aus der Soziologie – das vergisst man immer. Ich finde, man sollte noch viel mehr darauf schauen, welche Disziplinen noch nicht mit an Bord sind. Ich arbeite zum Beispiel zurzeit sehr viel mit Historikerinnen und Historikern zusammen: Business bzw. Economic History – da geht es ja nicht nur darum, Gründungspotenziale zu heben, sondern auch um die Frage, was uns die Geschichtswissenschaft zum Verständnis des heutigen Unternehmertums vermitteln kann.

Prof. Schwens: Ich kann nur unterstreichen, dass die Entrepreneurship-Forschung bereits sehr interdisziplinär aufgestellt ist – auch die Psychologie ist da beispielsweise sehr stark repräsentiert. Es gibt Forschungsfelder wie Digital Entrepreneurship, die gerade sehr stark wachsen – da gibt es Schnittstellen zur Informatik und Mathematik. Wenn wir uns Unternehmensgründungen im Bereich ökologische Nachhaltigkeit, Social Entrepreneurship und Ähnliches ansehen, sind wir im Bereich Biologie, Geografie, Soziologie usw. unterwegs.

Wo ebenfalls ein sehr großes Potenzial besteht – auch für die Forschung –, sind Gründungen im medizintechnischen sowie juristischen Bereich: Med-Tech und Legal-Tech. Letztere betrifft vor allem die Automatisierung von juristischen Tätigkeiten. Da ist viel Bewegung drin. Wobei vor allem die interdisziplinäre Herangehensweise mit ihren verschiedenen Sichtweisen auf ein Thema das wirklich Spannende dabei ist und Innovationen befördert.

Viele der akademischen Berufe münden in eine freiberufliche Selbstständigkeit – seien es Architekten, Juristen oder Künstlerinnen und Künstler. Oftmals entsteht allerdings der Eindruck, dass sich die Gründungsberatungen der Hochschulen eher auf die tech-affinen und wachstumsorientierten gewerblichen Start-ups konzentrieren.
Prof. Welter:
Also: Rosinenpicken würde ich nicht empfehlen. Das Gründungsgeschehen ist so vielfältig, da gibt es keine richtigen und falschen Gründungen. Es gibt auch viele Studierende und Forschende, die zunächst mit einer Nebenerwerbsgründung starten und dann vielleicht feststellen, dass man da noch mehr draus machen. Auch das finde ich legitim. Meiner Ansicht nach sollte der Blick aber noch mehr über den Tellerrand gerichtet werden, wenn es um die Entwicklung von Gründungsideen in den einzelnen Fachdisziplinen geht. Nehmen Sie allein das Beispiel Architektur: Da gibt es inzwischen jede Menge Möglichkeiten, die weit über die Tätigkeit eines freiberuflichen Architekten hinausgehen, beispielsweise im Zusammenspiel mit Data Science oder Artificial Intelligence.

Prof. Schwens: Wir müssen dabei auch sehen, welche aktuellen Probleme wir mit Innovationen und Unternehmensgründungen lösen können, sei es im Klima- und Umweltbereich, im sozialen, medizinischen oder juristischen Bereich oder in der industriellen Produktion. Die Antworten darauf gibt es in den entsprechenden Fakultäten und Disziplinen, weshalb wir in Köln auch ganz bewusst gesagt haben, wir verfolgen einen fächerübergreifenden Ansatz, bei dem wir alle Fakultäten einbeziehen.

Nun stellt diese Vorgehensweise auch größere Anforderungen an Bewerber und Bewerberinnen für eine Professur. Gefragt ist also nicht nur eine überdurchschnittlich hohe fachliche Qualifikation, sondern eben auch eine gewisse Gründungsaffinität.
Prof. Schwens:
Das stimmt, wobei es ja grundsätzlich schon nicht einfach ist, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu finden, die sowohl in der Forschung als auch in der Lehre gut aufgestellt sind und sich idealerweise auch noch in der Selbstverwaltung der Hochschule engagieren möchten. Jetzt kommt noch eine weitere Facette hinzu, nämlich dass die Bewerberin oder der Bewerber auch noch gründungsaffin sein muss und idealerweise selbst schon gegründet hat. Aber genau darauf haben wir in Köln im Rahmen des ganzen Berufungsverfahrens geachtet – von der Ausschreibung über die Auswahl der einzuladenden Kandidatinnen und Kandidaten bis hin zu den Berufungsvorträgen. Das hat das Besetzungsverfahren natürlich nicht einfacher gemacht, aber unter dem Strich würde ich sagen, haben wir in allen Verfahren wirklich exzellente Kandidatinnen und Kandidaten gefunden.

Frau Prof. Welter, wenn die Einrichtung gründungsaffiner Professuren tatsächlich zunehmen sollte, würde das auch etwas am bisherigen Selbstverständnis der Professorenschaft ändern?
Prof. Welter:
Ich möchte in puncto Selbstverständnis den Bogen noch etwas weiter aufziehen und das Thema Verwertung von Forschungsergebnissen ansprechen. Ich würde mir wünschen, dass mit dem vermehrten Einzug gründungsaffiner Professuren auch die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen durch Unternehmensgründungen einen anderen Stellenwert erhält und gleichranging als eine weitere Art des Wissenstransfers betrachtet wird.

Und was das Gründungspotenzial betrifft: Wenn wir jetzt tatsächlich vermehrt gründungsaffine Professuren einrichten, die dazu führen, dass vielleicht 80 Prozent der Absolventinnen und Absolventen später ein Unternehmen gründen, in die Gründungsberatung gehen oder in ein Unternehmen, aus dem sie zu einem späteren Zeitpunkt ausgründen, halte ich das für eine gute Perspektive. Aber wie gesagt, dabei sollte unbedingt die Multidisziplinarität im Blick behalten – und gefördert werden. Dieser Ansatz ist übrigens nicht neu: Schon Wilhelm von Humboldt hat dies Anfang des 19. Jahrhunderts in seinem Bildungskonzept formuliert: Die Bildung soll das Fundament dazu schaffen, dass jeder Einzelne in der Lage ist, seine Begabungen und speziellen Fähigkeiten zu entfalten.

Tipp:

Lesen Sie mehr dazu in der Broschüre „Hochschulen in Nordrhein-Westfalen: Keimzellen für innovative Start-ups“ (PDF, 7 MB)

Stand: November 2021