„Die stärkere Verzahnung von Wissenschaft und Entrepreneurship im Sinne eines ‚sowohl als auch‘ wäre sehr wünschenswert.“

Prof. Dr. Tessa Flatten mit Verleihungsurkunde von Unipreneurs
Prof. Dr. Tessa Flatten
© Jürgen Aloisius Morgenroth

Anfang September 2023 wurde Prof. Dr. Tessa Flatten von der Fakultät Wirt­schafts­wissen­schaften der Technischen Universität Dortmund von der Initiative UNIPRENEURS ausgezeichnet. Der Preis ehrt Professorinnen und Professoren für herausragende Leistungen im Bereich der Hochschulausgründungen. Überreicht wurde er von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Dr. Anna Christmann, Beauftragte für Digitale Wirtschaft und Start-ups des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Insgesamt wurden aus 700 Nominierungen 20 Persönlichkeiten ausgewählt, die bedeutende Beiträge zum Transfer von Innovationen in die Wirtschaft leisten. Aus Nordrhein-Westfalen erhielten neben Prof. Dr. Tessa Flatten auch Prof. Dr. Malte Brettel und Prof. Dr. Antonello Monti, beide von der RWTH Aachen, die Auszeichnung. Im folgenden Interview berichtet Prof. Flatten darüber, was ihr die Auszeichnung bedeutet und welchen Stellenwert das Thema Entrepreneurship an der TU Dortmund hat.

Frau Prof. Flatten, Sie wurden für Ihre herausragenden Leistungen im Bereich der Hochschulausgründung von UNIPRENEURS ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Prof. Flatten: Ich empfand das als eine sehr große Ehre. Dass ich gemeinsam mit beeindruckenden Persönlichkeiten auf der Bühne stehen durfte, hat mich sehr gefreut. Umso mehr, weil mein Engagement für Entrepreneurship vorwiegend nebenberuflicher Natur ist. Als Prorektorin der TU Dortmund und Professorin für Technologiemanagement liegen meine Schwerpunkte eher in der Forschung und der Lehre. Ich habe aber seit jeher ein Faible für das Thema Gründen. Außerdem hatte ich es selbst schon öfter mit einer Gründung versucht, war aber dabei nicht ganz so erfolgreich. Umso mehr macht es mir heute Spaß, mich mit meinen Doktorandinnen, Doktoranden oder Studierenden über deren Geschäftsideen auszutauschen.

Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass die Auszeichnung dazu beigetragen hat, den akademischen Gründungsgeist noch einmal hervorzuheben. Dadurch wurde einfach deutlich, wie wichtig das Gründen von Start-ups für den Transfer innovativer Ideen ist. Dass diese Ideen nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm bleiben, sondern mit Hilfe von Ausgründungen zur Anwendung in Gesellschaft und Industrie kommen, ist ein ganz wichtiger Punkt, den man immer wieder betonen muss.

Haben Sie den Eindruck, dass die Auszeichnung auch zur Reputation der Hochschule beigetragen hat?

Prof. Flatten: Ja, auf jeden Fall. Die Auszeichnung hat ganz klar gezeigt: Die Entrepreneurship-Aktivtäten an der TU Dortmund werden auch außerhalb der Hochschule wahrgenommen.

Sie beschäftigen sich schon eine ganze Weile mit dem Thema Entrepreneurship. Wo liegen aktuell Ihre Schwerpunkte?

Prof. Flatten: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich nicht allein arbeite, sondern ein tolles Team habe. Ich arbeite am Institut für Technologie, Innovation und Entrepreneurship zusammen mit Professor Steffen Strese und zwei Post-Doktoranden. Außerdem gibt es sowohl an der TU Dortmund als auch in der Universitätsallianz Ruhr sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die das Thema Entrepreneurship aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten.

Um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Aktuell steht bei uns auf der Agenda, das Thema Entrepreneurship über die Wirtschaftswissenschaften hinaus interdisziplinär an der Hochschule zu verankern, also auch in den Ingenieurwissenschaften, den Naturwissenschaften oder auch den Erziehungs-, Geistes und Sozialwissenschaften.

Gibt es dazu bereits Beispiele?

Prof. Flatten: Ja, wir haben in den Ingenieurwissenschaften Professorinnen und Professoren berufen, die eigene Gründungserfahrungen mitbringen und damit auch Ansprechpersonen für gründungsinteressierte Studierende sind. Die Lehrstühle stehen natürlich auch im engen Kontakt zum CET Center for Entrepreneurship & Transfer an der TU Dortmund.

Außerdem haben wir in den Wirtschaftswissenschaften damit begonnen, unsere Entrepreneurship-Veranstaltungen für Studierende anderer Fachbereiche zu öffnen. Für angehende Chemie- und Bioingenieurinnen und -ingenieure ist der Besuch meiner Veranstaltung zur Einführung ins Unternehmertum zum Beispiel verpflichtend.

Darüber hinaus bieten wir Programme wie das DLab an. Es handelt sich dabei um ein interdisziplinäres Lehrprogramm für Studierende aller Fakultäten der TU Dortmund, in welchem wir den Teilnehmern praxisnah Themen wie Technologiemanagement und Entrepreneurship nahebringen. Die Teilnehmenden erhalten die Chance, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch anwendungsorientiert zu arbeiten, durch Workshops und Gastvorträge von Expertinnen und Experten aus der Praxis zu lernen und sich fachlich zu qualifizieren.​ Der Abschluss besteht aus einem Praxisprojekt, in dem die Teilnehmer mit Hilfe der DLab-Coaches an ihrer eigenen Start-up-Idee arbeiten.

Bei dem Programm werden Sie zukünftig auch mit Ihrer Partneruniversität in den USA kooperieren.

Prof. Flatten: Richtig, wir pflegen eine Partnerschaft mit der Lehigh-University im Bundesstaat Pennsylvania. Die Region liegt im sogenannten Rust Belt mit seinen vielen Stahlwerken, die inzwischen leerstehen oder anderweitig genutzt werden. Die wirtschaftliche Transformation stellt die Region vor ähnliche Herausforderungen wie wir sie aus dem Ruhrgebiet kennen. Beiden Hochschulen liegt daher der Aufbau eines regionalen Start-up-Ökosystems vor Ort am Herzen. Dabei wollen wir voneinander lernen. Ich denke, das DLab ist da ein gutes Instrument, nicht zuletzt, weil sich die Lehigh-University mit ihrem Technical Entrepreneurship Master sehr gut dafür eignet.

Das bedeutet, Gründungsinteressierte beider Universitäten arbeiten im DLab zukünftig zusammen?

Prof. Flatten: Genau. Dabei würden wir auch gerne Lösungen für beide Regionen entwickeln. Auch wenn die Herausforderungen ähnlich sind, können die Lösungsansätze ja durchaus unterschiedlich sein. Von daher ist es sicher spannend, die Perspektive des jeweils anderen kennenzulernen.

Zurück nach Deutschland: Wenn Sie sich die Hochschullandschaft insgesamt ansehen. Wo gibt es Ihrer Ansicht nach beim Thema Entrepreneurship derzeit die größten Baustellen?

Prof. Flatten: Meiner Ansicht nach haben wir das Problem, dass an Hochschulen sehr viel Wissen brachliegt, sei es in Form von Patenten oder Erfindungsmeldungen. Ich würde mir daher wünschen, dieses Wissen zum Leben zu erwecken, indem wir unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel mit Seriengründerinnen und -gründern matchen. Letztere sind glaube ich auch besser darin, eine Marktanwendung zu finden. Das ist ja gerade bei innovativen Technologien erst einmal nicht immer so einfach.

Wichtig fände ich auch, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit einer Unternehmensgründung anzubieten, ohne dass sich dies negativ auf ihre Karriere auswirkt. Wenn ich heute eine wissenschaftliche Karriere in Richtung einer W2- oder W3-Professur anstrebe, muss ich mich über Publikationen und Drittmittel qualifizieren. Je mehr Artikel ich in Fachjournalen publiziere, je mehr meiner Anträge von der Deutschen Forschungsgemeinschaft angenommen werden, umso besser schneide ich in der Berufungskommission ab und umso schneller bekomme ich meine Professur. Daher würde ich es begrüßen, wenn der Entrepreneurship-Gedanke hier auch mit hineinspielen könnte. Wenn man zum Beispiel sagt, eine ernstzunehmende Unternehmensgründung ersetzt meinetwegen drei DFG-Anträge. Oder dass man einem Doktoranden die Möglichkeit bietet, seine Forschungsergebnisse im Rahmen einer Unternehmensgründung zu testen und in der Praxis anzuwenden und ihm aber trotzdem die Tür zurück zur Forschung offenhält. Diese stärkere Verzahnung von Wissenschaft und Entrepreneurship im Sinne eines „sowohl als auch“ wäre sehr wünschenswert.

Sind da die vielzitierten USA schon einen Schritt weiter?

Prof. Flatten:In den Elite-Universitäten wie Yale, Harvard oder Stanford gibt es dafür schon tolle Beispiele. Aber man muss natürlich auch berücksichtigen, dass sich das Hochschulsystem von unserem unterscheidet. In den USA gibt es in der Regel keine Verbeamtung auf Lebenszeit. Professorinnen und Professoren müssen also immer wieder ganz bestimmte Kriterien erfüllen, damit ihr Vertrag verlängert wird. Dann gibt es natürlich auch einen großen Unterschied zwischen den Elite-Universitäten und allen anderen Universitäten. Unsere Partneruniversität hat zum Beispiel auf der Doktoranden-Ebene ganz ähnliche Probleme wie wir. Die überlegen auch, welche Strukturen sie schaffen können, so dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen den beiden Systemen besser hin- und herspringen können.

Wenn Sie zurückblicken: In welche Richtung hat sich das Thema Gründung und Entrepreneurship an der Hochschule verändert?

Prof. Flatten: Es ist viel sichtbarer geworden. Ich habe 2003 oder 2004 an der RWTH Aachen eine Entrepreneurship-Vorlesung gehört. Der Grund war, dass in meiner Familie ein Unternehmen gegründet wurde und ich das unterstützen wollte. Damals wurde an der RWTH eine ganz neue Entrepreneurship-Professur eingerichtet, die mit Dr. Malte Brettel besetzt wurde, der übrigens auch mit UNIPRENEURS ausgezeichnet worden ist. Ich bin damals eher aus Zufall darauf gestoßen. Heute ist das ganz anders. Da kommt man viel früher mit diesen Angeboten in Berührung. An der TU Dortmund gibt es zum Beispiel inzwischen Pflichtveranstaltungen für Bachelorstudierende. Und natürlich gibt es inzwischen viel mehr Entrepreneurship- und gründungsaffine Professuren. Überhaupt haben wir heute an sehr vielen Hochschulstandorten Gründungszentren, wo Studierende und Forschende ihre Ideen vorstellen können und wo sie intensiv begleitet werden. Wenn ich das mit meiner Studienzeit vergleiche, hat sich da sehr, sehr viel getan. Die Förderung durch die Exzellenz Start-up-Center.NRW-Initiative hat dabei natürlich grandios geholfen.

Würden Sie auch sagen, dass sich die Qualität der Gründungen verändert hat?

Prof. Flatten: Wenn ich mir die TU Dortmund anschaue und das TechnologieZentrumDortmund, das fünftgrößte Technologiezentrum Europas, das seinen Sitz in unmittelbarer Nachbarschaft der Universität hat, sehe ich Unternehmen wir Adesso, Materna, MotionMiners GmbH und Ianus Simulation GmbH - alles Spin-offs der TU Dortmund. Insofern würde ich sagen: Es gab schon immer tolle Ausgründungen aus der TU Dortmund, aktuell sehen wir aber noch mehr DeepTech und Impact Ausgründungen.

Das CET Center for Entrepreneurship & Transfer an der TU Dortmund wird durch die Exzellenz Start-up-Center.NRW-Initiative gefördert. Wie sieht es mit der Verstetigung der Maßnahmen nach Ablauf der Förderung aus?

Prof. Flatten: Das Rektorat der TU Dortmund hat direkt zu Förderbeginn bereits drei Stellen im CET verstetigt. Die Entfristung von bis zu sieben weiteren Stellen ist ebenfalls beschlossen. Die TU Dortmund setzt also ganz klar auf das Thema Entrepreneurship. Das sieht man auch daran, dass bspw. der Prorektor Finanzen, Prof. Dr. Gerhard Schembecker, im Vorstand des CET vertreten ist.

Auf Professorenebene ist das Thema ohnehin schon sehr stark verankert. Und den interdisziplinären Austausch auf Studierendenebene haben wir seit gut zwei Jahren bereits in unserem Zertifikatsprogramm DLab berücksichtigt, was auch zur Verstetigung der Ziele des ESC beiträgt.

Inzwischen gibt es auch viele Kontakte zuUnternehmen und Institutionen wie bspw. der IHK oder Wirtschaftsförderung, so dass wir sagen können, dass die TU Dortmund mit ihrer vielfältigen Gründungsförderung in der Region als wichtiger Player wahrgenommen wird.

Stand: November 2023