„In der Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Universität können sehr viele Synergien entstehen, die Antworten auf aktuelle Probleme bieten können.“

Frederik Grunewald
© Entrepreneurship CENTER der Universität Siegen

Wenn Hochschulabsolventinnen und -absolventen an ihre berufliche Karriere denken, haben sie meist große, bekannte Unternehmen oder Organisationen im Visier. Kleinere mittelständische Unternehmen, insbesondere Handwerksbetriebe liegen da eher außerhalb des Blickfelds. Das möchte die Universität Siegen mit ihren Handwerks- & Mittelstandstandems ändern. Ziel ist es, Studierende mit kleineren Unternehmen bzw. Handwerksbetrieben aus Nordrhein-Westfalen zusammenzubringen, um gemeinsam an innovativen Ideen zu arbeiten. Idealerweise erkennen die Studierenden dabei, dass auch kleinere Betriebe durchaus interessante Arbeitsplätze zu bieten haben. Und nicht nur das: Denkbar ist auch eine spätere Unternehmensnachfolge.

Das Handwerks- & Mittelstandstandem ist als Teilprojekt Bestandteil des Projekts enableUS. Es wird aus Mitteln der Initiative Exzellenz Start-up Center.NRW finanziert. Warum beim Thema Hochschule und Handwerk noch das eine oder andere dicke Brett gebohrt werden muss, erklärt Teilprojektleiter Frederik Grunewald im folgenden Interview. Er selbst ist übrigens gerade dabei, den Betrieb seiner Familie als Nachfolger zu übernehmen.

Herr Grunewald, die Universität Siegen hat das Teilprojekt „Handwerks- und Mittelstands-Tandem“ im Jahr 2022 auf den Weg gebracht. Mit welchem Ziel?

Grunewald: Wir möchten damit eine größere gegenseitige Akzeptanz und engere Verbindung zwischen Universität und Handwerk bzw. kleinem Mittelstand schaffen. Die meisten Betriebsinhaberinnen und -inhaber sind ja den klassischen Weg über eine duale Ausbildung in Berufsschule und Ausbildungsbetrieb und eine eventuell anschließende Techniker- oder Meisterausbildung gegangen. Mit einer Hochschule hatten sie in ihrer Laufbahn wenig bis gar nichts zu tun.
 
Umgekehrt gibt es aber auch von Seiten der Hochschulen kaum Berührungspunkte mit dem Handwerk. Die Universität Siegen stellt da mit ihrem Lehrstuhl für die Dienstleistungsentwicklung in KMU und Handwerk von Prof. Dr.-Ing. Giuseppe Strina eine Ausnahme dar. Die Universität Siegen möchte sich damit als Partner gegenüber dem Handwerk präsentieren. Zugleich möchten wir das Handwerk sowie kleine mittelständische Unternehmen gegenüber unseren Absolventinnen und Absolventen als interessanten Arbeitgeber näherbringen. Viele akademisch ausgebildete junge Menschen haben diese Unternehmen mit all ihrer Vielfalt nicht auf dem Schirm. Die haben meist Großunternehmen oder größere Mittelständler als Arbeitgeber im Visier, aber nicht das Familienunternehmen mit 20, 25 oder 50 Angestellten. Dabei gibt es eine Reihe innovativer Betriebe, die spannende und vor allem zukunftsorientierte Tätigkeiten bieten. Der Wandel unserer Wirtschaft und Gesellschaft hin zu mehr Klima- und Ressourcenschutz ist gerade ohne die zahlreichen Handwerksbetriebe vor Ort nicht umsetzbar.

Inwiefern?

Grunewald: Um Wärmepumpen vor Ort einzubauen, braucht es Installateurinnen und Installateure. Um eine Solaranalage zu montieren, braucht es unter anderemElektrikerinnen und Elektriker. Um das Mikroklima in unseren Städten positiv zu beeinflussen, müssen wir Bäume pflanzen und Alleen und Parks anlegen. Dazu brauchen wir Straßenbauer, Landschaftsgärtnerinnen und Baumpfleger. Die Aufzählung ließe sich noch um jede Menge weiterer Berufe fortsetzen.

Alles klar, verstanden! Aber was haben Hochschulen damit zu tun?

Grunewald: Weil in der Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Universität sehr viele Synergien entstehen können, die praktische Antworten auf aktuelle Probleme bieten können. Wenn man die Erfahrungen und Ideen der Handwerksunternehmen mit der Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur der Universität und dem Know-how der Studierenden zusammenbringt, können daraus tolle Produkte und Dienstleistungen entstehen, die man gemeinsam zur Marktreife weiterentwickeln kann.

Ein weiteres Thema, das Ihr Projekt verfolgt, ist die Unternehmensnachfolge

Grunewald: Ja, wobei man hier mittel- bis langfristig denken muss, weil der Prozess einer Unternehmensnachfolge einfach mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Wir möchten mit unserem Projekt die Weichen dafür stellen, dass sich unsere Absolventinnen und Absolventen nicht nur für eine berufliche Tätigkeit in einem Handwerks- oder kleinem Mittelstandsbetrieb entscheiden, sondern sich auch mit dem Gedanken einer eventuell späteren Übernahme beschäftigen. Die Studierenden haben Interesse an Entrepreneurship oder Intrapreneurship. Die wollen in einem Unternehmen an einem realen Problem arbeiten. Da kann die Arbeit in einem kleineren Unternehmen mit der Option, möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt den Chefinnen- bzw. Chefsessel zu übernehmen, eine tolle Perspektive sein.

Wie sieht denn das Interesse vonseiten der Betriebe an dem Tandem-Projekt aus?

Grunewald: Die Unternehmen sind leider wider Erwarten sehr zurückhaltend. Wir haben über 20.000 Betriebe angeschrieben, haben mit Unterstützung der Innungen und Handwerkskammern auch Veranstaltungen besucht, das Teilprojekt vorgestellt, persönliche Gespräche geführt usw. Wir planen, gemeinsam mit den kommunalen Wirtschaftsförderern einen gewerkeübergreifenden Handwerkstisch zu veranstalten, um die Vernetzung zu fördern, um Ideen vorzustellen und letztlich auch, um aus Ideen Innovationen zu kreieren. Wir spüren aber deutlich, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer aufgrund des Fachkräftemangels so gut wie keine freien Kapazitäten haben. Obwohl wir immer wieder positive Rückmeldungen erhalten. Zum Beispiel von dem Inhaber eines Metallbaubetriebs. Der hatte vor ein paar Jahren einen Prototyp für ein ganz neues Gerät entwickelt, das Edelstahlrohre besser schleifen und anpassen sollte. Für die Weiterentwicklung zur Marktreife hat aber leider aufgrund des Tagesgeschäfts die Zeit gefehlt. Hätte dem Inhaber damals ein Maschinenbauer zur Seite gestanden, hätte es vermutlich geklappt.

Inzwischen gibt es ein vergleichbares Gerät auf dem Markt, aber leider nicht von ihm. Damit möchte ich sagen, dass es viele gute Ideen in den Betrieben gibt. Nur haben die leider nicht immer die Chance, zu einem innovativen Produkt weiterentwickelt zu werden.

Wichtige Voraussetzung hierfür ist, das Interesse der Studierenden an Handwerks- bzw. Kleinbetrieben zu wecken. Wie gelingt Ihnen das?

Grunewald: Seit 2014 bietet der Lehrstuhl von Professor Strina ein zweisemestriges Projektseminar Systematic development of digital services in craft and small enterprises“ an. Dessen Ziel ist es, Mikroentwicklungsprojekte in Handwerksunternehmen durchzuführen. Sieben Studierende nehmen aktuell an diesem Seminar teil. Eine gute Zahl finde ich, da der Studiengang, in dem der Kurs bisher angeboten werden kann, recht klein ist. Das zeigt, dass es doch ein gewisses Interesse am Handwerk gibt, aber wir müssen noch mehr tun. Wir werden daher zum Start des nächsten Projektseminars Vertreterinnen und Vertreter der Handwerkskammer einladen, die aus erster Hand darüber berichten werden, wie die Situation im Handwerk ist und welche Karrieremöglichkeiten es dort für Akademikerinnen und Akademiker gibt. Außerdem planen wir Ideenmessen mit Start-ups und Studierenden der Universität Siegen gemeinsam mit Handwerksunternehmen, um die Vernetzung zwischen allen Beteiligten zu fördern.

Sie selbst haben sowohl eine handwerkliche als auch eine akademische Ausbildung absolviert. Privat bereiten Sie sich gerade auf die familieninterne Unternehmensnachfolge vor. Um was für einen Betrieb handelt es sich?

Grunewald: Ich werde den Garten- und Landschaftsbaubetrieb meines Vaters und meines Onkels übernehmen.Ich bin ausgebildeter Landschaftsgärtner, habe einen Bachelor in Landschaftsbau und Management an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf absolviert. Danach habe ich meinen Master an der Universität Siegen in Betriebswirtschaft im Bereich Entrepreneurship und SME-Management, also Unternehmertum für kleine und mittlere Unternehmen, abgeschlossen.

War für Sie denn immer schon klar gewesen, dass Sie den Familienbetrieb übernehmen?

Grunewald: Das war eher ein Auf und Ab. Nachdem ich den Bachelor in der Tasche hatte, wollte ich von der Übernahme des Betriebs erst einmal gar nichts mehr wissen. Dazu muss man wissen, dass eine familieninterne Unternehmensnachfolge ziemlich komplex und herausfordernd ist. Da geht es ja nicht nur darum, die betrieblichen Abläufe kennenzulernen und sich Gedanken über die Zukunft des Unternehmens zu machen. Es geht auch um familiäre Beziehungen, um Sensibilitäten, um Beharrungskräfte usw. Mir war damals nicht immer klar, warum sich einige der Beteiligten so und nicht anders verhielten. Heute kann ich das besser nachvollziehen, aber damals wollte ich Abstand davon nehmen. Ich habe daher an der Uni Siegen Unternehmertum für KMU studiert mit dem Ziel, anschließend zu promovieren oder in einer Unternehmensberatung zu arbeiten.

Aber dann haben Sie sich doch wieder mit dem Thema Unternehmensnachfolge angefreundet?

Grunewald: Ich hatte während des BWL-Masterstudiums unter anderem Seminare von Prof. Dr.-Ing. Giuseppe Strina und Prof. Dr. Petra Moog, der damaligen Leiterin des Lehrstuhls für „Entrepreneurship and Family Business“, besucht. Dabei ging es um Familienunternehmen, Handwerk und Nachfolge. Das, was ich dort theoretisch gelernt habe, hatte ich fast alles selber schon praktisch zu Hause erfahren: dass der Übergeber den Wert seines Unternehmens meist überschätzt, dass er meint, ohne ihn würde gar nichts gehen, dass es ihm schwerfällt, Ideen des Nachfolgers zu akzeptieren usw. Dadurch kam ich dann doch noch einmal ins Grübeln. Ich begriff, dass eine Unternehmensnachfolge gerade auch für die Übergeberin oder den Übergeber eine sehr emotionale Angelegenheit ist. Das Lebenswerk an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger abzugeben, fällt den meisten einfach sehr schwer. Insofern konnte ich auch das Verhalten meines Vaters und meines Onkels viel besser nachvollziehen.

Theoretisch hätten Sie auch ein Unternehmen aus einer anderen Branche übernehmen können. Sie haben sich dann aber doch für den Handwerksbetrieb Ihrer Familie entschieden. Warum?

Grunewald: Durch das BWL-Masterstudium und meine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Moog hatte ich die Möglichkeit, weit über den Tellerrand des Handwerks zu schauen. Dadurch habe ich auch andere Branchen, wie beispielswese den Consulting-Bereich oder auch den Verwaltungsbereich an der Universität kennengelernt. Für mich hat sich damals herauskristallisiert, dass dort auch nur mit Wasser gekocht wird. Mir wurde zunehmend klar, dass das Handwerk bzw. der Betrieb meiner Familie vergleichsweise vielfältige und interessante Tätigkeiten bietet. Ich sitze nicht nur am Schreibtisch, sondern komme jeden Tag an die frische Luft. Ich bin viel unterwegs, ich bin körperlich aktiv und ich sehe die Ergebnisse meiner Arbeit. Für mich sind das sehr positive Aspekte, die mir erst durch mein betriebswissenschaftliches Studium und den Vergleich mit anderen Unternehmen bewusst geworden sind.

Sie selbst haben eine handwerkliche Ausbildung absolviert. Aber wie ist das, wenn ein Masterabsolvent einen Handwerksbetrieb übernehmen möchte? Geht das ohne bestandene Meisterprüfung?

Grunewald: Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Gewerken, in denen kein Meisterabschluss erforderlich ist. Aber auch in den zulassungspflichtigen Gewerken muss man als Hochschulabsolventin oder -absolvent nicht zwangsläufig eine Meisterprüfung absolvieren. Wer zum Beispiel Ingenieurwissenschaften studiert und im Elektrobereich seinen Bachelor gemacht hat, kann einen Antrag auf die Eintragung in die entsprechende Handwerksrolle stellen.

Insgesamt wird deutlich, dass Ihrer Meinung nach Hochschulen und Handwerk näher zusammenrücken sollten.

Grunewald: Auf jeden Fall. Unter dem Dach des Deutschen Handwerksinstituts haben sich zwar fünf regional verteilte Forschungsinstitute zusammengeschlossen, die mit der jeweiligen Universität vor Ort zusammenarbeiten und zum Teil den Status eines An-Instituts haben. Sie sind damit aber kein integraler Bestandteil der jeweiligen Hochschule. Dadurch fließen die Forschungsergebnisse dieser Institute nicht unmittelbar in die Curricula von Studiengängen ein. Die Studierenden kommen also kaum bis gar nicht mit handwerksrelevanten Inhalten in Berührung.

Das ist an der Universität Siegen anders. Hier fließen die Forschungsergebnisse rund um das Thema Handwerk unmittelbar in die Vorlesungen und Seminare mit ein. Dadurch kommen unsere Studierenden, zumindest diejenigen, die unsere Veranstaltungen besuchen, „zwangsläufig“ mit dem Thema Handwerk in Berührung.

Was würden Sie denn einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler sagen, warum das Thema Handwerk verstärkt zum Forschungsgegenstand werden sollte?

Grunewald: Zunächst einmal ist die Bedeutung des Handwerks als eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft unbestritten. Das Handwerk macht etwa ein Achtel der Wirtschaftsleistung des Standortes Deutschland aus und beschäftigt etwas mehr als 12 Prozent aller Erwerbstätigen. Schaut man sich wichtige Themen wie die Klima-, Energie- und Verkehrswende an, bemerkt man schnell, dass neben der Industrie ganz besonders das Handwerk in den Fokus rückt. Das Handwerk als Forschungsgegenstand ist somit top aktuell. ´

Außerdem gibt es Studierende und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die sich für die besondere Thematik kleinbetrieblicher Strukturen sehr interessieren, bisher jedoch noch nie damit in Berührung gekommen sind. In unseren Studierendenprojekten sind viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder davon fasziniert zu erfahren, dass in einem Kleinbetrieb alle betriebswirtschaftlichen Themen wie Marketing, Finanzen und Controlling, Personal und Organisation wie in einem Brennglas auf engsten Raum zusammenkommen. Das sind alles in allem Gründe dafür, warum immer wieder Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu uns an den Lehrstuhl kommen, die sich für Forschungsthemen im Bereich Handwerk interessieren.

Weitere Informationen:

Universität Siegen: Entrepreneurship Center

Stand: August 2023